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Hier findet Ihr verschiedene Texte zur Diskussion über die Wahlaltergrenze. Da die uns unterstützenden Organisationen dazu verschiedene Ansichten vertreten, kommen hier auch verschiedene Standpunkte zu Wort.
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Das Kind ist ein Noch-Nicht

Kinder werden ihre Rechte einfordern und die Position der Erwachsenen werde sich als so schwach erweisen, dass sie aufgegeben wird. Aber die Mitbestimmung von Kindern kann das politische System nicht retten, nur gerechter machen, meint Philosoph Hans Saner.

Wie bist du als Philosoph auf das Thema Wahlalter gekommen?
Seit Anfang der siebziger Jahre habe ich über die Rechte der Kinder nachgedacht. Ich bin ausgegangen von der philosophischen Bedeutung der Geburt, der frühkindlichen Spontaneität und von den Mechanismen ihrer gesellschaftlichen Eindämmung und Abtötung durch unser Schulsystem.

Sozialisation der Kinder beruht auf ihrer Entrechtung

Immer klarer ist mir dabei zu Bewusstsein gekommen, dass die ganze Sozialisation der Kinder auf der Schiene ihrer Entrechtung läuft. Hier wurde mir der Gedanke der Menschenrechte wichtig. Wenn es überhaupt Menschenrechte gibt, dann müssten es Rechte sein, die allen Menschen zukommen und nicht bloss bestimmten Lebensaltern. Da die Mitbestimmung eines der grundlegenden Menschenrechte ist, zog ich die Konsequenz: Mitbestimmungsalter Null (...) In der politischen Mitbestimmung genügt das Wahlrecht nicht, sondern es geht um direkte Mitbestimmungsrechte auch noch, nämlich um das Referendums- und das Initiativerecht sowie um das Abstimmungsrecht in einem weiten Sinn.

Was würde sich Deiner Meinung nach ohne eine Wahlaltersgrenze in Gesellschaft und Politik verändern?
Die Macht der Kinder müsste ernst genommen werden. Die Kinder bekämen eine Lobby unter den Politiker/Innen. Die diskriminierenden Momente in der Gesetzgebung würden verschwinden. Man lernt nicht durch Abstinenz, sondern durch Übung.

In einem Interview sagst Du, dass das 21. Jahrhundert die Emanzipation des Kindes hervorbringen wird. Denkst Du, dass es zur Gleichberechtigung zwischen Kindern und Erwachsenen kommen wird?
Die Unterdrückung wird bereits beim Namen genannt, und eine Theorie der Befreiung ist im Entstehen begriffen. Ich zweifle nicht daran, dass die Kinder bald ihre Rechte auch einfordern werden. Die alte Position der Erwachsenen aber wird sich argumentativ und menschenrechtlich als so schwach erweisen, dass sie aufgegeben wird.

Siehst du irgendwelche Gründe, warum Diskriminierung aufgrund des Alters - anders als aufgrund des Geschlechts oder einer Behinderung - noch in keinem Gesetz verboten wurde?
Der Hauptgrund liegt in der negativen Definition des Kindes: das Kind wurde in allen Kulturen als ein Noch -Nicht verstanden. Es ist noch nicht reif, noch nicht vernünftig, noch nicht verantwortungsfähig usw. Die Definitionsmacht lag allein bei den Erwachsenen, die sich selber und nur sich für reif, verantwortungsfähig usw. hielten. Sobald die negative Definition durch eine menschenrechtliche ersetzt wird, verliert die Diskriminierung auch jeden Schein einer Legitimation.

Wie erklärst Du Dir, dass viele Unter18jährige gar nicht wählen wollen?
Ich komme aus einem Land, in dem auch die Mehrheit der Über18jährigen nicht wählen geht. Das freiwillige Nicht-Gehen ist rechtlich weniger schlimm, als das erzwungene. Im übrigen haben wir die Kinder zur politischen Abstinenz trainiert.

Viele lehnen unser politisches System gänzlich ab und wollen sich nicht von anderen vertreten lassen. Warum also ein Wahlrecht?
Es gibt viele Gründe, ein politisches System abzulehnen, in dem man nur seine Vertreter/Innen wählen kann, die übrigens von den Parteien auch vorgewählt sind. Ich kann die Ablehnung durchaus verstehen. Es gibt aber auch Gründe, das Repräsentations-System für gut zu halten. Repräsentations-Demokratien arbeiten in der Regel effizienter und oft mit größerer Kompetenz als direktere Formen der Demokratie. Trotzdem scheint mir, die Europäische Union sollte durch eine direktdemokratische Öffnung die Mitbestimmung für junge Menschen attraktiver machen.

Kannst du die Angst verstehen, dass maßlose Werbung und Konsum, die sich gerade auch eine Politik zu Nutzen macht, viele Jungwähler verblöden lässt, so dass ihr Engagement in politische Fragen gar nicht erst aufkommt?
Nein, das kann ich nicht verstehen. Denn das trifft Jungwähler nicht mehr als Altwähler.

Kann wirkliche Mitbestimmung von Kindern helfen, dass Politik wieder vom Bürger ausgeht und eigentlich von ihm gemacht wird?
Die Mitbestimmung der Kinder soll dazu beitragen, dass niemand mehr von der Mitbestimmung ausgeschlossen wird. Das soziale und ökologische Engagement wird wahrscheinlich zunehmen. Aber die Kinder sind eine Minderzahl. Sie können das politische System nicht retten, aber ein bisschen gerechter machen.

Dr. Hans Saner studierte u.a. Philosophie, Psychologie in Lausanne und Basel. 1962-69 war er Privatassistent von Karl Jaspers. Er arbeitet überwiegend als freischaffender Philosoph und hat zahlreiche Bücher verfasst.
Er ist 67 Jahre alt.

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