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Ströbele: Kinderwahlrecht wäre absurd!


Ein Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele (B'90/GRÜNE) über die Wahlaltersgrenze

Ein 14jähriger aus Neubrandenburg schreibt als Begründung, wählen zu wollen: "Ich bin auch ein Mensch. und es sollte deshalb nicht unterschieden werden, wer wählen darf und wer nicht; oder bin ich nur ein halber Mensch?" Was würde ihm Christian Ströbele antworten? Wahrscheinlich würde er sagen: "Selbstverständlich bist du nicht "halbwertig", sondern gleichberechtigt." Er würde es bestimmt begrüßen, wenn junge Leute mitbestimmen wollen, als Schülervertreter, im Jugendclub, aber den Bundestag sollen sie nicht wählen dürfen.

Bei einem Spaziergang zur Elbe am Rande des Bundeskongresses der GRÜNEN JUGEND habe ich versucht, Christian Ströbele als Unterstützer für die Kampagne ICH WILL WÄHLEN zu gewinnen. Hierbei können Unter18jährige eine Petition unterschreiben, in der sie ihren Willen zum Ausdruck bringen, an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen zu können. Ströbele findet die Wahlalterdiskus-sion interessant, hält das Infragestellen einer Altersgrenze insgesamt aber für eine "theoretisierte Diskussion". Demokratie werde "ad absurdum" geführt, wenn alle wählen dürften. Das Wahlrecht ohne Altersgrenze sei "nicht richtig". Kinder interessierten sich entsprechend ihres Alters eher für Roller und Süßspeisen, meint Ströbele.

Aber gehe es nicht vor allem um die, die wählen wollen?, erwidere ich. Auch Kinder seien zweifel-los in der Lage, auf ihre Interessen aufmerksam zu machen. In demokratischen Schulen konnte ich erleben, wie sechsjährige am schulinternen Justizkomitee teilnehmen und sinnvolle Vorschläge ma-chen, wie mit Regelverstößen umgegangen werden könne. 11jährige Kinder habe ich auf Presse-konferenzen erlebt, wie sie ihre politischen Forderungen begründeten und Politiker anklagten. War-um soll das Alter eines Menschen festlegen, ob seine Stimme zählt oder nicht? Szenarien der Kriti-ker, bei denen Eltern oder Sozialarbeiter Kinder zur Wahlurne abführen, halte ich für unseriös. Un-ser Strafgesetzbuch verbietet Nötigung zur Wahl und wir können davon ausgehen, dass Eltern, Bür-ger und Politiker auf Missbrauch aufmerksam machen würden. Im Übrigen muss niemand wählen und Kleinstkinder haben eigentlich auch kein Interesse daran.

Ströbele bleibt dabei und erklärt, dass die Entwicklungstatsache des Menschen die Vorenthaltung des politischen Mitbestimmungsrechtes rechtfertige. Kleinkinder seien nicht fähig, sich kritisch eine Meinung zu bilden und dabei die Folgen für ihr Umfeld zu berücksichtigen. Diese Begründung ist schlicht undemokratisch und daher verfassungswidrig. Würde es bei Wahlen um Fähigkeiten gehen, bräuchten wir Wahlberechtigungstests und das würde Demokratie ad absurdum führen!

Christian Ströbele konnte mich nicht überzeugen. Das, worum es in der Politik geht, ist für alle Menschen alltäglich erfahrbar. Es handelt sich keineswegs um eine Materie, die nur wenigen Sach-verständigen vorbehalten bleibt. Politik hat mit Meinungen, Interessen und Auseinandersetzung, Entscheidungen und auch Fehlern zu tun. In all das sollten Menschen unabhängig ihres Alters mit einbezogen werden. Das Wahlrecht ist nur ein, aber ein wesentlicher Prüfstein dabei.

Was ist also davon zu halten, wenn Ströbele Gleichberechtigung von Kindern und Erwachsenen befürwortet, aber Unter18jährige daran hindern will, bei Wahlen und Abstimmungen - dem ent-scheidenden demokratischen Akt - ihre Stimme abgeben zu dürfen? Meines Erachtens hat er das Anliegen der Gleichberechtigung nicht zu Ende gedacht. Er wird die Meinung eines 14jährigen aus Baden-Württemberg nicht teilen, der sein Wahlrecht einfordert und optimistisch hinzufügt: "Des weiteren ist die Ungleichberechtigung Minderjähriger mit der früheren Frauenungleichberechtigung zu vergleichen. Also keine Frage: Früher oder später wird sowieso eine Gleichberechtigung aller Menschen kommen müssen."

In der Podiumsdiskussion über BürgerInnenrechte nach dem 11. September zu Beginn des Bundes-kongresses meinte Ströbele als Schlusswort sinngemäß: Gerade dann, wenn alle für noch mehr Po-lizei, noch mehr Überwachung, noch mehr Geheimdienste sind, dann müssen wir Bürgerrechtler HALT sagen und dafür kämpfen, nüchtern zu prüfen, wie Erfolg versprechend all die Maßnahmen wirklich sind.

In diesem Sinne wäre es meines Erachtens auch nahe liegend, dass Bürgerrechtler sich auch für die Menschenrechte von Kindern einsetzen und die Ausgrenzung von 16 Millionen Unter18jährigen von einer Teilnahme an Wahlen mit nüchternen Argumenten in Frage stellen. Durch das Wahlrecht ist effektivere politische Mitbestimmung von Unter18jährigen gewährleistet. Das Wahlrecht wird dazu beitragen, dass die Interessen von Kindern und Jugendlichen in der Familie, in der Schule und in der Gesellschaft mehr politische Beachtung finden werden. Und nicht nur Politiker würden damit beginnen, Kinder als vollwertige Rechtssubjekte wahrzunehmen. Niemand wird jemals stellvertre-tend besser auf ihre Interessen aufmerksam machen können, als junge Menschen selbst.

Bestenfalls würde Ströbele vielleicht dem 14jährigen antworten: Also gut, dann sollen 14jährige eben schon wählen dürfen. Allerdings haben bereits 12- und 13jährige die Petition der Kampagne ICH WILL WÄHLEN unterschrieben. Was nun, Herr Ströbele?

Christoph Klein

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